Um einen ein grundlegendes Verständnis des qualitativen Forschungsansatzes zu erlangen, schauen Sie nun das folgende Video-Tutorial:

 

Auf grundlegender Ebene können die folgenden Forschungsziele der Qualitativen Forschung identifiziertwerden:

  • Entdeckung verallgemeinerbarer intrapsychischer Strukturen (Freud)
  • Evaluation konkreter Erfahrungen einer Person in einem spezifischen Kontext (Keupp, 1994)
  • Entwicklung empirisch gehaltvoller Hypothesen für Theorien mittlerer Reichweite (Glaser & Strauss, 2010)
  • Entdecken des Typischen (Lamnek, 2005).
  • Typenbildung von Fällen zu ähnlichen Mustern oder Gruppen (Kuckartz, 2010)

 

Dies bedeutet, dass das Ziel der Qualitativen Forschung i.d.R. die Entdeckung von Strukturen, Mustern, Typen und/oder Theorien darstellt. Somit kann die Qualitative Forschung verstanden werden als:

(1) Qualitative Forschung als Entdeckungsverfahren:

  • Die Entdeckung von Theorien/Hypothesen ist i.d.R. wichtiger als die Theorienprüfung.
  • Die Qualitative Forschung strebt danach, mit theoretischer Offenheit bisher Unbekanntes zu finden, und hat einen heuristischen Charakter.
  • d.R. wird von alltagsweltlichen Kontexten ausgegangen, um Theorien zu entwickeln.
  • In der Qualitativen Forschung sollen i.d.R. sowohl Konzepte als auch deren Zusammenhänge entdeckt werden.

 

(2) Qualitative Forschung als Interpretationsverfahren:

  • Ziel der Qualitativen Forschung ist es nicht die "Dinge an sich“ zu erkennen, sondern die "Dinge für uns“ zu verstehen.
  • Ausgangspunkt der Interpretation bilden die (subjektiven) Bedeutungszuschreibungen der Akteure.
  • Die Interpretation von qualitativen Daten (der Bedeutungszuschreibungen der Akteure) erfolgt im zweiten Schritt über den Abgleich der gewonnen Erkenntnisse mit bestehenden Theorien.
  • Grundlegender Ansatz der Qualitativen Forschung ist die Hermeneutik, i.d.R. das Interpretieren und Verstehen von Texten.

 

Beispiele für „klassische“ qualitative Studien sind u.a.:

  • "Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen“ von Irving Goffman [1961](1973a).
  • "Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit" von Marie Jahoda, Paul Felix Lazarsfeld und Hans Zeisel (1933).

 

Beispiele für „moderne“ qualitative Studien sind u.a.:

  • Brunner, M. & Hommelhoff, S. (2017). Berufliche Sehnsüchte: Ressource oder Risiko? Eine explorative Studie. Wirtschaftspsychologie, 2017(2), 52-60.
  • Bronner, U. & Kraus A.L. (2015). Präsentismus in Unternehmen – Eine qualitative Befragung unternehmensinterner Experten zu den Ursachen von Präsentismus. Wirtschaftspsychologie, 2017(2), 53-62.

 

Einen etwas umfassenderen Einblick in die Methodenvielfalt der Qualitativen Forschung liefert die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“:

  • Feldforschungsprojekt der Wirtschafts-psychologischen Forschungsstelle der Universität Wien in den 1930er Jahren unter der Leitung von Paul Lazarsfeld und Marie Jahoda
  • Hintergrund: Der Schließung der Textilfabrik im Ort Marienthal folgt eine Massenarbeitslosigkeit
  • Fragestellungen:
    • Welche subjektiven Wirkungen hat langanhaltende und „aussichtslose“ Arbeitslosigkeit?
    • Wie gehen Menschen mit langanhaltender und „aussichtsloser“ Arbeitslosigkeit um?
    •  
  • Methoden der Datenerhebung:
    • Auswertung amtlicher Statistiken
    • Schriftliche Befragung (Zeitverwendungsbogen, Schulaufsätze, etc.)
    • Verdeckte Beobachtung (Gehgeschwindigkeit, etc.)
    • Teilnehmende Beobachtung (Familien- und Wohnverhältnisse, etc.)
    • Mündliche Befragung (Lebensverhältnisse der Arbeitslosen)
  • Ergebnisse der Studie (Auszug): Typologie mit vier Kategorien der Haltung
    • Ungebrochene“: Menschen mit Zukunftsplänen und aktiver Suche nach Arbeit
    • Resignierte“: Menschen ohne Zukunftsorientierung mehr, aber mit einem Gefühl des relativen Wohlbefindens und einer ordentlichen Haushaltsführung
    • Verzweifelte“: Menschen mit depressiver Stimmung und ohne Bezug zur Zukunft
    • Apathische“: Menschen in Verwahrlosung und ohne Aktivitäten

 

Im Rahmen der Qualitativen Forschung kann vereinfachend zwischen zwei typischen Forschungsdesignsunterschieden werden:

 

(1) Deskriptive Designs

  • Zielstellung: I.d.R. Entwicklung eines vertieften Verständnisses eines Untersuchungsgegenstandes aus verschiedenen Perspektiven
  • Voraussetzung: Beschreibungsdimensionen sind aus dem Forschungsstand ableitbar und es liegen keine „ganzheitlichen“ Analysen des Untersuchungsgegenstandes vor
  • Methoden:
    • Ethnographie
    • Fallstudien

 

(2) Explorative Designs

  • Zielstellung: d.R. Entdeckung von Strukturen, Mustern, Typen und/oder Theorien
  • Voraussetzung: Forschungstand ist so rudimentär, dass keine Modelle, Hypothesen oder Beschreibungsdimensionen gebildet werden können
  • Methoden:
    • Qualitative Interviews
    • Gruppendiskussionen

 

Nächstes Kapitel: 2.2 Ziele, Merkmale & Gütekriterien der Qualitativen Forschung (explorativ)